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ein Blatt des Nützlichen und Schönen
No. 60 Dinstag
den 20. Mai 1845 Dritter Jahrgang
Einweihung der Kalvariberg-Kapelle in Göß.
Die Einweihung dieser neu gebauten Kapelle hat am Pfingstmontage
den 12. Mai in feierlicher Weise statt gefunden. Tausende der Gläubigen
haben dieser kirchlichen Feier beigewohnt, und es ist wohl nicht
Einer, der diesen Tag für einen verlornen zählt.
Die Prozession formirte sich vor 8 Uhr Morgens
vor dem Gotteshause in Göß, und zog dann, geführt
von zahlreicher Geistlichkeit in reichem Ornate, hervorgegangen
aus den Händen frommer Nonnen der vormahligen Frauenabtei Göß,
unter dem harmonischen geläute aller Glocken, die seit Jahrhunderten
die Thürme dieses erhabenen Gotteshauses bewohnen, begleitet
von Musikchören, durch den Burgfried, bethend, langsamen Schrittes,
von Station zu Station, den Berg hinan.
Wir hatten uns der Prozession nicht eingereiht,
sondern wollten uns lieber an dem Totalanblicke erbauen und vorerst
in Göß ein Wenig umsehen, und blätteren, so zu sagen,
in der Geschichte seiner neunthalbhundertjährigen Vergangenheit.
Einer Begebenheit können wir unbeschadet unseres Themas hier
Erwähnung thun. Um dritten Tage der Leidenswoche des Herrn
im Jahre1797 befand sich Göß in banger Erwartung. Die
französische Armee war herangerückt, Göß war
zum Hauptquartier des Obergenerals und zum Lagerplatz von 12.000
Mann bestimmt. Mehr als den Verlust von Hab und Gut fürchtete
man von geistlicher und weltlicher Seite die gräulichsten Religionsfrevel;
- denn es schien nicht zweifelhaft, dass bei fast gänzlichem
Mangel an bequemer Unterkunft die geräumige Kirche zum
profansten Gebrauche willkommen seyn werde, und welche Unfüge
und Ausgelassenheiten liessen sich denken von dem Heereshaufen eines
sich geistig frei dünkenden Volkes, das, so erzühlte man
sich's seine Altäre umgestürzt, und dem Ausspruche eines
seiner Vertreter Legendre: "er hoffe, die Revolution habe wenigstens
das Gute gebracht, dass Frankreich von der Lächerlichkeit religiöser
Ideen abgekommen, Beifall geschenkt hatte! - Es war 2 Uhr Nachmittags,
als der Bischof Alexander Graf Engel an der Pforte seiner Residenz
Napoleon Buenaparte empfing.
Schon in den ersten Worten drückte dieser
dem Bischofe beifällig seine Verwunderung darüber aus,
sich nicht persönlich so großen Ungemaches durch Entfernung
entzogen zu haben. Der Hirt war aber nicht nur bei seiner Heerbe
geblieben, er hatte Fürsorge getroffen, die Functionen der
heiligen Zeit, es komme, was da wolle, abzuhalten. Eine Stunde nach
der Ankunft seines Gastes schritt der muthige Kirchenfürst
- voran das Beamtenpersonale, dießmahl, wie sonst nur an hohen
Festtagen, in geblühmten seidenen Kleidern, die zierlichen
Degen an der Seite, dann der Clerus in pleno und das Capitel, vor
den Augen von Hunderten von Generälen, Offizieren und Gemeinen
in den Dom. Keine Störung! - Am Ostersonntage rückte eine
Abtheilung der Elite des Obergenerals en parade zur Aufwartung beim
Hochgottesdienste in die Kirche, und in den geweihten Hallen tönte
in französischer Sprache das Kommandowort: "Kniet nieder
zum Gebeth!"
Wir hatten auf einem abkürzenden Gehsteige
die Prozession eingholt und einen Vorsprung gewonnnen, und befanden
uns, insgesammt nach einer halben Stunde Weges auf Golgota.
- Wahrhaftig! die Landschaft rund umher ist eine der schönsten
der schönen Steiermark! - Zu des Berges Füßen die
reiche Ebene, belebt durch zwei Poststraßen und die rauschende
Mur mit ihren Mäanderwindungen, durch das freundliche Leoben,
das ehrwürdige Göß mit seinem jungen Park und seinen
Alleen, wohlhabende Dorfschaften; niedliche Landhäuser, betreibsame
Werksgaden an forellenreichen Bächen. Aufwärts - fruchtbare
Thäler, schwellende Hügel, wälderreiche Berge; höher
noch die grünenden, heerdenbevölkerten Alpen, über
diesen die schneeigen Scheitel der Gemsgebirge; dort der Sonnenuntergang
über den Zacken des frei dastehenden, im Typus der Schweizer
Gletscher geformten, wolkenanragenden, majestätischen Reitings.
- Befeligt von dem schönen Anblicke, schrieb ein edler, um
das Wohl der Steiermark verdienter Mann folgende Strophe in die
glatte Felsenwand:
Wie schön ist Gottes Werk, die Erde,
Wie reich ist sie durch seine Huld,
Nur daß sie auch bewohnet werde
Von guten Menschen ohne Schuld! -
Noch ließ Gott Eden nicht verschwinden,
Nur argen Augen ist's verhüllt;
Die Sehnsucht, wieder es zu finden,
Bleibt uns nicht immer ungestillt.
Um diese hohe Felsenzinne,
Zu Berg und Hügel, Thal und Flur
Liegt vor dem aufgeschloss'nen Sinne
Die wunderherrlichste Natur! -
Und diese Berge, sie preisen Gott und sind nicht
stumm, ihr vielstimmiges geisterhaftes Echo antwortet jubelnd den
donnernden Salven des zur Verherrlichung aufgegührten Geschützes.
Ein Strom, aufwürts fliessend, nahte sich
uns; die Prozession zog den Felsenweg heran. Wir nahmen durch das
Felsenthor unsern Weg abwärts die Kapelle zu besuchen. Sie
ist von modernem Baustyle und bildet einregelmäßiges
Achteck mit breiter Antrittstiege, mit dem Bestibulum und der Nische
des heiligen Grabes, das aus einem vorspringenden Naturfelsen gehauen.
Das Altarbild - die Verklärung Christi - von dem Antwerperner
Meister Franz von Reve, ist von hohem Werthe; ein anderes schönes
Bild - die Geburt Christi - gehört nach dem Urtheile
von Kunstgenossen einem italienischen Künstler des Mittelalters
an.
So wie die Prozession die Kapelle erreicht hatte,
begann die feierliche Handlung der Weihe derselben durch den hochwürdigen
Herrn infulirten Propst, Haupt- und Stadtpfarrer in Bruck, worauf
die Predigt im Freien, dann das Hochamt abgehalten, der ambrosianische
Lobgesang gesungen und zum Schlusse eine stille heilige Messe gelesen
worden ist.
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